Sascha Bisley tauchte in letzter Zeit öfter in den Medien auf, eine für den Underdog erstaunliche Erfahrung. Der Grund: Er hat seine Autobiographie veröffentlicht. Dort beschreibt der ehemalige Straftäter, Sozialarbeiter und Autor in dem für ihn typischen lakonisch-unbarmherzigen Stil die „verrückten und ekelhaften Ereignisse“, die bisher sein Leben prägten.
Bleibt man beim harten Kern, ist Saschas Geschichte recht schnell erzählt: Als Nesthäkchen einer neunköpfigen Arbeiterfamilie im Sauerland aufgewachsen, gipfelt seine durch verschiedenste Subkulturen, Langeweile, Depression, Gewalt und Drogen geprägte Jugend im Alter von 19 Jahren in einer brutalen Straftat. Im Rausch mit 3,3 Promille verprügelt er zusammen mit einem Bekannten einen Obdachlosen so schwer, dass dieser an den Spätfolgen stirbt. In und vor allem nach der anschließenden Untersuchungshaft werden ihm zahlreiche helfende Hände gereicht, darunter die wohl wichtigste – die des Opfers selbst. Der schwerverletzte Mann vergibt dem reuigen Jungen und bittet vor Gericht um Strafmilderung. Bisley kommt frei und langsam wieder auf die Beine. Sein weiteres Leben beschreitet der gelernte Schlosser unter anderem als Lagerarbeiter und Piercer, er wird Sozialarbeiter und Jugendamt-Referent sowie Blogautor, Lesebühnentalent, Filmemacher und schließlich Schriftsteller.
Seinen Weg schildert nun ein Film- und Fotoprojekt aus einer anderen Perspektive. Die Fotografin Claudia Diaz strebt mit „Herr Bisley sucht sein Glück“ das Klischee des Erfolgsmannes zu entlarven und zeichnet ihren Protagonisten in sechs Szenen als verbittert-düsteren Held des Film-noir-Genres, den die Vergnügungen der Hautevolee nicht befriedigen können und der erst im exhibitionistischen Akt des Schreibens sein Seelenheil findet.
Die Crew formiert sich wie folgt: Claudia Diaz kümmert sich um Plot, Regie und Bildarbeit, Christian Penn übernimmt Kamera und Schnitt, Eva Pilartz das Styling. Die Schauspielerin Christiane Werk verkörpert die weiblichen Rollen, Robert Adamek mimt den getreuen Butler und Sascha Bisley agiert als verführungsresistenter Hauptdarsteller. Ein gelungener Coup, besonders auch die Besetzung der Männerrollen, denn das Duo kennt sich bereits privat aus dem Dortmunder Nachtleben. Bisley erinnert sich: „Uns beiden war sofort klar, dass das mehr als eine normale Begegnung oder ein Kennenlernen ist. Ich würde uns als gute Freunde bezeichnen, die sich gesucht und gefunden haben.“ Die beiden inszenieren sich je als düsteres Individuum, das mit Accessoires wie schwarzen Fingernägeln und ledernen Clochard-Handschuhen (Adamek) sowie derbem Schmuck und Tätowierungen (Bisley) mit dem Bild des klassischen Gentlemans – und somit der gesellschaftlichen Erwartungshaltung – bricht.
Wie im Film, so im Leben. Denn die Tattoos sind für den Dortmunder Wahlnordstädter Bisley schließlich keine Requisiten, sondern eine Lebenseinstellung. „Für mich sind meine Tätowierungen nicht mehr wegzudenken, und das in jeder Hinsicht. Ich lasse mich auch weiterhin tätowieren, bis mein Körper zu hundert Prozent bedeckt ist. Gerade habe ich mit meinem Gesicht angefangen.“ Sein Antlitz zieren nun ein Dolch und ein filigranes Dotwork-Motiv. Die neusten Puzzleteile des Körper-Gesamtkunstwerkes, an der sich bereits 29 Artists beteiligen durften. Das älteste Bild zeigt einen Wikinger, streitaxtschwingender Begleiter seit dem 18. Geburtstag. Trotz der Masse, ein Lieblingsmotiv gibt es nicht. Auch kein Knast-Tattoo. Das ist wohl auch besser so, bedenkt man die unhygienischen Praktiken, die der Exsträfling in seiner Autobiografie schildert. Fragt man ihn nach seinem Körperschmuck, betont er, wie viel Spaß es ihm mache, daran zu arbeiten. Mögliche Einwände interessieren ihn nicht: „Ich mag, wie ich aussehe, fernab vom Schönheitsideal dieser Welt.“ Jedoch gibt er bereitwillig zu, dass neben der ästhetischen Komponente auch das Moment der Selbstverletzung eine Rolle spielt. „In Zeiten, in denen es mir schlecht geht, ist der Wunsch nach einer Tätowierung stärker … Der Schmerz dient oft als willkommenes Ventil, ist aber nicht die Voraussetzung.“
Auch ohne den auf der Haut hinterlassenen Bildersturm wäre der 196-Zentimeter-Hühne mit der ruhigen Stimme eine beeindruckende Erscheinung – aber eben nicht er selbst. Ein zufälliges, aber schönes Detail ist es dass beim Dreh ein Tattoo-Studio im Atelierhaus „Alter Kiosk“ als Filmset dient. Trotz der Parallelen weiß sich Bisley von der inszenierten Filmfigur, die alle dargebotenen Vergnügungen zurückweist, zu distanzieren: „Ich selbst bin manchen materiellen Dingen durchaus verfallen. Meine Liebe gilt dem guten Essen, den guten Weinen und ich sammle Armbanduhren und hochwertige Schuhe. Mich als Minimalist zu bezeichnen, wäre eine glatte Lüge.“
Ob auf der Leinwand oder gedruckt, der Grad zwischen Dichtung und Wahrheit ist bekanntlich schmal. Und selbst für den Autor lese sich sein Werk wie die Geschichte eines anderen. Doch stellt er klar: „Die Person aus meinem Blog ist eine Kunstfigur, die aber große Teile meiner Person in sich trägt. Die Autobiografie dagegen ist eine ganz klare Abrechnung mit meinem Ich.“ Eine mutige Aussage, die sich ganz klar an das Publikum und die eingeschworenen Fans richtet, die bisher charmant-zotige Anekdoten und einen deftigen Humor gewöhnt waren. „Da musste ich sie allerdings enttäuschen. Und das habe ich gerne getan.“ Bei aller Härte, den nötigen Witz lässt keines seiner Projekte vermissen, und so endet nicht nur der Stummfilm mit einem Augenzwinkern. Auch auf seine Ängste angesprochen – persönliche wie die vor Gewässern oder berufliche wie eventuelles Lampenfieber – kontert Bisley trocken: „Ich werde noch dieses Jahr mein Seepferdchen machen. Versprochen.“ Eine überraschend optimistische Antwort findet der ehemalige Straftäter, der zwei Suizidversuche überlebt und sich selbst fast aufgegeben hätte, auch auf die Frage nach dem Glück: „Ich liebe das Leben. Ich liebe ein echtes Lachen und Menschen, die neugierig und begeisterungsfähig sind. Es gefällt mir, dass man auf diesem Planeten die Möglichkeit hat, zu tun und zu lassen was man will. Entgegen der Vorstellung, Gesetze oder gesellschaftliche Regeln würden uns einschränken, vertrete ich die Meinung, dass man seine persönlichen Schlupflöcher suchen und nutzen muss, um die Glückseligkeit zu erreichen.“
Info
Die Autobiografie „Zurück aus der Hölle – Vom Straftäter zum Sozialarbeiter“ erscheint im Econ Verlag, ISBN: 9783430201704.
Den Blog findet man unter www.dortmund-diary.de
Mitwirkende: Sascha Bisley, Claudia Diaz, Christian Penn, Eva Pilartz, Christiane Werk und Robert Adamek